Am 21. April fand der erste Projekttag zum Thema Kolonialismus in Stuttgart statt. Dazu waren 8 Jugendliche von der Hasenbergschule eingeladen, die mit der stjg-Schulsozialarbeiterin Anette Lauer in Begleitung kamen. Tshamala Schweizer und Farina Görmar starteten im Büro von Afrokids International e.V. im Stuttgarter Süden mit einem Input zu den bis heute noch bestehenden sozialen Ungleichheiten, die durch den Kolonialismus entstanden sind. Die Jugendlichen sammelten Wörter, die sie mit Europa und Afrika assoziieren, z.B. Tiere, Hunger, Palmen, Feste, Fußball etc.
Lindenmuseum
Im Anschluss fuhr die Gruppe zum Lindenmuseum. Dort wurden sie von Mike Schattschneider, Leiter für der Abteilung „Bildung und Vermittlung“, in die Geschichte des Hauses und seine kolonialen Bezüge eingewiesen. Dabei ging es auch um die Frage, wie die Objekte ins Museum gekommen sind – sie wurden in vielen Fällen geraubt. Ergänzt wurde der Vortrag von Mia Paulus, Werkstudentin von Lernort Geschichte, mit Beispielen von Rückgaben von Objekten in ihre Herkunftsländer. Dass die Figuren am Portal des Museums rassistische Stereotype wiedergeben, weil sie ohne Kleidung wie “Wilde” dargestellt werden, erklärte uns Faisal Osman. Es sei notwendig, diese Denkmuster, die sich am Portal manifestieren, zu “dekolonisieren”, auch wenn es unter Denkmalschutz steht.
Gewerbehalle
Weiter ging es mit Input zur ehemaligen Gewerbehalle, die sich an der Stelle befand, an der jetzt die Universitätsbibliothek steht. Hier wurde 1928 eine große Kolonialausstellung gezeigt. Mia Paulus hatte auch ein Foto mitgebracht, auf dem ein nachgestelltes samoanisches Dorf mit einer Menschenpuppe zu sehen war. Auch wenn Deutschland in der Weimarer Republik keine Kolonien mehr besaß, gab es weiterhin viele, die den Kolonialismus befürworteten und die Kolonien zurückforderten.
Azenberg
Als nächstes ging es auf den Azenberg, ehemaliger Standort von Nill’s Tiergarten, in dem sogenannte “Völkerschauen” stattgefunden hatten. “Stellt Euch mal vor, Ihr müsstet in einem Zoo Euren Alltag leben, so wie es die Europäer:innen von Euch verlangen und werdet von denen begafft”, brachte Faisal Osman die unwürdige Praxis auf den Punkt. Damals war das Unterhaltung, heute ist eine solche Praxis unvorstellbar und menschenunwürdig. Nur wenige wissen bislang darüber Bescheid, dass mitten auf dem Universitätsgelände, wo heute die Pädagog:innen von morgen studieren, Menschen aus kolonisierten und anderen Ländern mit anderen Kulturen ausgestellt wurden. Lediglich der „Tiergartenweg“ erinnert an Nill’s Tiergarten, jedoch fehlt eine Hinweistafel o.Ä., die über die kolonialen Bezüge der ehemaligen Stuttgarter Institution informiert.
Podcast mit Mike Schattschneider
Nach der Begehung der Orte wurden wir dann herzlich im Jugendhaus Heslach in Empfang genommen. Mit Lena Zimmerlin durfte die eine Gruppe der Jugendlichen die teils gewaltsamen Eindrücke des Vormittags künstlerisch verarbeiten und ihre Objekte und Bilder mit nach Hause nehmen. Melissa Lanzke führte die anderen Jugendlichen an den hauseigenen Podcast “Generation Süd” heran, indem sie ein Interview mit Mike Schattschneider führen durften. Das kurze Interview kann man sich auf Spotify unter Generation Süd anhören.
Weiter geht es am 28. April mit dem nächsten Projekttag zur (post-)kolonialen Innenstadt von Stuttgart mit Jugendlichen des Friedrich-Eugens-Gymnasiums und am 12. Mai im Stadtarchiv Stuttgart mit Jugendlichen der Realschule Renningen. Die drei Projekttage zu Kolonialismus in Stuttgart werden finanziert vom Kulturamt der Stadt Stuttgart.
Hallo, ich finde eure Projekttage gut. Heute in den Nachrichten sagte ein Junge: Wie konnte man auch so was machen wie Kolonialismus? Es wurde damals schon gemacht, zur Sicherung/Aufbau unseres Wohlstandes.
Auch heute werden noch viele Menschen aus Afrika aber auch aus anderen Regionen der Welt, für unseren Wohlstand ausgenutzt und benutzt. Nur ein aktuelles Beispiel: Unser Wirtschaftsminister reist nach Ghana um „Fachkräfte“ anzuwerben. A) können nicht alle Menschen aus Ghana deutsch, b) sind die Ausbildungsmöglichkeiten auch nicht so wie bei uns. Das soll nicht die Menschen aus Ghana herabwürdigen, aber wenn welche hierher kommen, sind sie a) nur billige Arbeitskräfte und b) nicht gern gesehen weil sie eine andere Hautfarbe haben.
Das andere: Wie viel Urwald und Land wird gerade auch in Afrika kaputt gemacht für unsere Handys, Solaranlagen, Elektroautos usw.
Genauso wird viel Abfall von uns dahin transportiert: zB. alte Autos, übriges Fleisch, alte Kleider
Bitte sprecht auch die aktuelle Lage und auch Notlage der Menschen in Afrika an.
Ich liebe Afrika und auch die Menschen. Deshalb ist das Aktuelle genauso wichtig, wie das Vergangene.
Also, habt informative Projekttage und seid wachsam und kritisch.
Freundliche Grüße Susanne
Wenn man das liest, dass Jugendliche Wörter wie Tiere, Hunger, Palmen, Feste, Fußball mit Afrika assoziieren, erkannt man sofort, dass dies ebenso typisiert-rassistische Vorurteile sind. Allein der Gedanke, nun aber wirklich in einem postkolonialen Zeitalter zu leben, gleicht einer scheinheiligen Illusion. Diese Illusion sollte Jugendlichen mal gezeigt werden, die 4 Stunden am Tag in ihr Smartphone sehen, denn allein dieser Alltagsgegenstand wird unter grausamen Bedingungen gefertigt. Dabei ist dies nicht er einzige Gegenstand, den moderne Industriesklaven für die wohlgepamperte Jugend erzeigen!
Insofern ist eine sogenannte postkoloniale Tour durch Stuttgart so etwas wie ein moderner Ablasshandel, ähnlich wie ihn einst die Kirche perfekt inszenierte.